Schon vor der gegenwärtigen Corona-Krise war der Wandlungsbedarf im stationären Einzelhandel, insbesondere der Innenstädte, präsent und äußerte sich nicht zuletzt durch immer wieder kehrende Meldungen von sinkenden Mieten in den top Lagen, reduzierten Flächenanforderungen, zurückgefahrenen Expansionszielen, Insolvenzanmeldungen, oder sichtbaren Leerständen.
Dieser Wandlungsbedarf ist nicht allein durch dem Onlinehandel als größtem Konkurrenten zu zu schreiben, vielmehr ergibt sich ein Cocktail aus unterschiedlichen strukturellen Veränderungen. So kommt es, getrieben durch Expansionsdruck und Flächenmangel, immer stärker zur Ausbildung des Handels in Mittelzentren bzw. in Fachmarktgebieten.
Insbesondere Möbelhäuser, der großflächige Lebensmitteleinzelhandel, Drogerien, Non-Food-Discountern, Baumärkte sowie Fachgeschäfte finden im Wesentlichen nur außerhalb der Städte Platz, müssen aber als Anbieter von Waren des täglichen Bedarfs bzw. zur Befriedigung unserer Grundbedürfnisse stets frequentiert werden. Zusätzlich wird die häufig bessere Erreichbarkeit (Anbindung, Parkplätze) durch den Verbraucher, der zunehmend auf der Suche nach der Optimierung seiner Freizeit ist, geschätzt. Ergänzt wird das Angebot solcher Zentren häufig durch Dienstleistungen (Friseur, Autowaschpark,…) und gastronomische Angebote vom Imbiss auf dem Parkplatz bis zum Freestander Restaurant à la L’Osteria oder Cafe del Sol.
Was haben also unsere Innenstädte entgegenzusetzen? Welcher USP könnte stärker ausgebaut werden bzw. muss dieser vielleicht erst entdeckt werden?
Zuerst bleibt festzuhalten, dass die beschriebene Entwicklung keine neue ist. Nicht umsonst haben die zuständigen Behörden und die Politik bereits in der Vergangenheit Zentrenkonzepte aufgestellt und versucht innerstädtisch relevanten Einzelhandel in der Peripherie einzudämmen.
Zweitens sehen wir uns mit aktuellen, gesellschaftlichen Herausforderungen wie dem Klimawandel, konfrontiert. Hiermit einher gehen Umdenkprozesse welche bspw. in der Forderung nach autofreien Innenstädten gipfeln. Die sich hieraus ergebenden, weiteren Nachteile für den innerstädtischen Handel liegen auf der Hand. Allerdings lassen sich diese Entwicklungen vermutlich nicht mehr aufhalten und somit ist man gut beraten schon jetzt Lösungen zu erarbeiten und auf den Weg zu bringen (bspw. Wiederentdeckung des Park&Ride, Ausbau und Optimierung des ÖPNV, usw.).
Aber was können unsere Innenstädte bieten, um den Verbrauchern einen Mehrwert zu bieten und ihre Magnetfunktion zu entfalten?
Hierauf gibt es mit Sicherheit keine allgemein gültige Lösung. Es liegen aber einige Vorteile der Innenstädte auf der Hand.
1. Sehen und Gesehen-Werden: Spricht man mit Branchenvertretern des Einzelhandels und der Gastronomie, fällt dieses Stichwort immer häufiger. Die Menschen möchten ihren Konsum nach außen tragen. Wer kennt nicht das Bild des Shoppingbegeisterten mit zig Einkaufstaschen im Gepäck? Wer dreht sich nicht um, wenn im Restaurant eine teure Flasche Wein am Platz des Gastes vor den Augen aller anderen Gäste geöffnet wird?
Diese Möglichkeit bietet sich auf der grünen Wiese weniger. Das Einkaufserlebnis ist anonymer, so werden die Einkäufe doch unvermittelt im PKW verstaut.
An dieser Stelle können die Einzelhändler, Gastronomen und Dienstleister der Innenstädte, aber auch die Städte und Vermieter weiter anknüpfen, in dem Fassaden modernisiert, Terrassenflächen der Gastronomie ausgebaut und im allgemeinen verstärkt auf die Sichtbarkeit, unkomplizierte Fußwege, usw. geachtet wird, um das Einkaufserlebnis uns somit die Konsumlaune zu steigern.
2. Verweilqualität: Auch hier haben die Innenstädte einen Vorteil. Wer liebt nicht den Biergartenbesuch unter einer alten Kastanie an einem belebten Platz? Hier können wir andere beobachten, uns entspannen oder einfach von der lebendigen Atmosphäre treiben lassen. In Hörweite der stark frequentierten Bundesstraße und dem Charme umgebender Gewerbebetriebe gelingt das weniger.
Auch hier können alle Beteiligten anpacken, indem bspw. die optischen Eindrucke durch Sanierungsmaßnahmen, Begrünung oder Beschmückungen, aufgewertet werden.
3. Erlebnischarakter: Zwar gibt es mittlerweile auch Veranstaltungen und Events auf Parkplätzen von Fachmarktzentren, bspw. Flohmärkte, jedoch kommt den Innenstädten an dieser Stelle weiterhin eine größere Bedeutung zu. Bestes Beispiel – der Weihnachtsmarkt. An dieser Stelle sind insbesondere die Städte gefragt. In einem Shoppingcenter werden entsprechende Veranstaltungen, Events, Thementage, etc. durch das jeweilige Centermanagement initiiert und gesteuert. Hier dürfen sich auch die Städte Ihrer Verantwortung für eine lebendige Innenstadt, abseits von Umbau- und Sanierungsmaßnahmen, bewusster werden. Warum nicht auch in diesem Zusammenhang Forderungen, bspw. nach einer autofreien Innenstadt, an einzelnen Wochenenden testen?!
Es ist viertel vor zwölf. Die Corona-Krise, welche in diesem Zusammenhang auch häufiger als „Brandbeschleuniger“ beschrieben wird, wirkt als eine zusätzliche Verstärkung der Effekte. Abstände und Hygienemaßnahmen lassen sich mit mehr Platz in einem Fachmarktcenter einfacher umsetzen. Feste und Events sind abgesagt. Das Einkaufserlebnis durch das Tragen der Masken getrübt. Bedürfnisse, insbesondere nach Abendkleidung durch die aktuell fehlenden Möglichkeiten diese einzusetzen, zurückgestellt.
An dieser Stelle darf nicht untätig geblieben werden, denn wie Branchenkenner wissen, ist nichts schlimmer als ein Leerstand, da dieser Unsicherheiten bei der Standortentscheidung schürt und sich letztlich weiter fortsetzt. Die bestehenden strukturellen Herausforderungen müssen unmittelbar angegangen werden, um mögliche Veränderungen in 5-10 Jahren zu erwirken und in der Zwischenzeit auf den Durchhaltewillen der Unternehmen und die fortgesetzte Konsumlaune der Bevölkerung zu hoffen.